Schutz vor Elektrohypersensibilität: Kann Mobilfunk krank machen?

Am Kanzleramt demonstrierten von Elektrohypersensibilität Betroffene – wir fragten sie nach Symptomen und Beweisen. Und was sagt die Wissenschaft?

Von Elektrohypersensibilität Betroffene demonstrieren vor dem Kanzleramt.
Von Elektrohypersensibilität Betroffene demonstrieren vor dem Kanzleramt.Mia Conrads

Es nieselt immer noch, als Cornelia Mästle eine Reihe gelber Stühle vor dem Bundeskanzleramt aufstellt. Die Psychotherapeutin und Ärztin für innere Medizin ist aus der Nähe von Stuttgart nach Berlin gereist, um an dieser Demonstration teilzunehmen. Die Gruppe um sie ist klein, aber das hat einen anderen Grund als das schlechte Wetter, wie die ausgedruckten Texte auf den gelben Stühlen zeigen sollen. Die bunten Stühle stehen im Kontrast zum grauen Morgenhimmel – und dafür, „Platz für Elektrohypersensible“ zu machen, so Cornelia Mästle. 

Mästle will zusammen mit Sympathisanten und Betroffenen vor dem Kanzleramt auf eine Krankheit aufmerksam machen, die nur wenige kennen: Elektrohypersensibilität (EHS). Was viele als Wahnvorstellungen eines Hypochonders abtun, sei tatsächlich eine medizinische Störung, die erhebliche Gesundheitsprobleme als Reaktion auf elektromagnetische Felder und Mobilfunkstrahlung auslöst, sagt sie. Da diese fast allgegenwärtig sind, bleiben Betroffene öffentlichen Veranstaltungen – wie etwa diesem Protest – oft fern, so Mästle.

Mit der Demonstration wolle man nicht nur auf die Krankheit aufmerksam machen, sondern mobilfunkfreie Zonen für Betroffene fordern. Das gelte nicht nur für Wohnräume, sondern auch für Krankenhäuser und Gemeinschaftsorte. „Ich war froh, ein Hotel zu finden, in dem es nur fünf Mikrowatt gab“, sagt Cornelia Mästle. Mikrowatt pro Quadratmeter – so messen von EHS Betroffene die „elektromagnetische Belastung“ in ihrem Umfeld.

Aber wie soll man überhaupt feststellen können, wie stark diese „Belastung“ eigentlich ist? Als Antwort holt Cornelia Mästle ein kleines piependes Gerät heraus. Es heißt Safe and Sound Pro II – und mit seiner Hilfe könne man jederzeit, an jedem Ort die Stärke der Mobilfunkstrahlung messen, sagt sie.

Der Safe and Sound Pro II teilt mit, dass die elektromagnetische Belastung vor dem Bundeskanzleramt hoch ist.
Der Safe and Sound Pro II teilt mit, dass die elektromagnetische Belastung vor dem Bundeskanzleramt hoch ist.Mia Conrads

Offiziell wird EHS in Deutschland nicht als Krankheit eingestuft; laut dem Bundesamt für Strahlenschutz und der Weltgesundheitsorganisation wurde bisher nicht nachgewiesen, dass elektromagnetische Strahlung tatsächlich krank macht. Cornelia Mästle und ihre Mitstreiter sind allerdings von einem Zusammenhang zwischen elektromagnetischer Strahlung und ihren oft schwerwiegenden Symptomen überzeugt. „Da gibt es natürlich verschiedene Schweregrade, wie bei Allergien“, sagt Cornelia Mästle. „Bei manchen ist es nur ein Schnupfen, bei anderen ist es tödlich.“ Heutzutage gebe es auch immer weniger sichere Orte für Betroffene; sie würden zu „Flüchtlingen im eigenen Land“, meint Mästle.

Die Folgen von EHS reichen von chronischer Erschöpfung, die Betroffene arbeitsunfähig mache, über Kopfschmerzen und Schlafstörungen bis hin zu epileptischen Anfällen, sagt Cornelia Mästle. Um diese zu vermeiden, würden Betroffene teilweise in Kellern im Wald oder permanent in Bewegung in einem Wohnmobil leben; Städte seien wegen der hohen Funkbelastung keine Option. So würden die Menschen oft den Zugang zu einem normalen, sozialen Leben verlieren; manche würden dann keinen anderen Ausweg sehen, als sich das Leben zu nehmen.

Als von den allgegenwärtigen Mobilfunkmasten die Rede ist, meldet sich der Betroffene Stefan K. zu Wort. „Als ich damals Hirnkrebs bekam, habe ich sofort versucht herauszufinden, woran es denn liegen könnte“, sagt der 62-Jährige. „Dann guck ich eines Tages aus dem Fenster und sehe einen riesigen Mobilfunkmast.“ Er sagt, damals habe ihm sein Arzt erzählt, dass die Masten höchstwahrscheinlich der Grund seiner Erkrankung wären – obwohl man das nicht nachweisen konnte.

Cornelia Mästle hält Telefonmasten durchaus für eine plausible Erklärung für die Krankheit von Stefan K.; sie sagt, sie habe eine Statistik gesehen, laut der es zwischen 2002 und 2012 einen 40-prozentigen Anstieg an Gehirntumoren weltweit gegeben habe. Ein Zusammenhang mit der erhöhten Dichte von Funkmasten, Antennen und Mobiltelefonen wurde jedoch nicht hergestellt.

Wie leben Menschen mit EHS?

Thomas Warmbold leidet ebenfalls unter EHS. Er war vor einigen Jahren bei der Vorbereitung einer kirchlichen Jugendaktion einer Mobilfunksendeanlage unwissentlich nahe gekommen. Danach hatte er Symptome wie Schlaflosigkeit, Übelkeit, Schüttelfrost, Erschöpfung und Grippeanzeichen, wann immer er Funkbelastung ausgesetzt war, sagt er.

Warmbold zweifelte zunächst, da er niemanden mit ähnlichen Symptomen kannte. Auch Ärzte würden EHS nicht ernst nehmen, sagt er. „Ich fragte mich, ob das alles wirklich so sein kann, oder ob ich mir eine Verknüpfung mit Funk nur einbilde.“ Dann habe ihm ein Freund jedoch ein Messgerät wie das Safe and Sound Pro II empfohlen. Das Gerät habe seinen Verdacht eines Zusammenhangs zwischen seinen körperlichen Reaktionen und der Funkbelastung bestätigt.

Der 47-jährige Gemeindereferent sagt, er könne seine EHS bescheinigen und sich so eine frühe Rente bewilligen lassen. Aber das würde nichts daran ändern, dass er nicht normal am öffentlichen Leben teilnehmen könne. „Ich bin eingeschränkt, meine Kinder zu begleiten, an ihrem Leben Anteil zu haben.“ Bei öffentlichen Veranstaltungen wie Einschulungen oder Chorauftritten müsse er sich jedes Mal überlegen, wie weit er sich dem allgegenwärtigen Funk aussetze. Oft würden sich sofort intensive Symptome zeigen.

Nach Angaben der Demonstranten leiden zwischen fünf und acht Prozent der deutschen Bevölkerung an EHS. Jeder, der sich einer gewissen Funkintensität ausgesetzt habe, könne EHS entwickeln. Zum Schutz vor elektromagnetischer Strahlung empfehlen die Anwesenden ein paar simple Maßnahmen: Das Handy nachts komplett ausschalten, den WLAN-Router nicht direkt neben dem Schlafzimmer einrichten und sich nicht in der Nähe von größeren Funkmasten aufhalten.

Aber sie sagen auch: In erster Linie wäre der Staat dazu verpflichtet, endlich Maßnahmen zum Schutz der EHS-Betroffenen einzuleiten. In anderen Ländern sind die Maßnahmen, die die Demonstranten in Deutschland fordern, bereits gängige Praxis; in Schweden etwa, wo EHS als „körperliche Beeinträchtigung“ gilt, gibt es in vielen Krankenhäusern  abgeschirmte Behandlungszimmer für Betroffene.